Nicht-Elektrischer Explosionsschutz
Eine Analyse für Hersteller und Betreiber
DOI: 10.60048/exm20_09Der nicht-elektrische Explosionsschutz umfasst die explosionsschutzgerechte Auslegung von nicht-elektrischen Geräten, Bauteilen und Systemen wie beispielsweise Rührwerke, Schneckenförderer oder pneumatisch betriebene Abfüllanlagen. Dieser Bereich nimmt neben dem elektrischen Explosionsschutz eine bedeutsame Position ein, die von Herstellern explosionsgeschützter Produkte und Betreibern von explosionsgefährdeten Anlagen zu berücksichtigen ist. Bei vielen Projekten in der Produktentwicklung und der Planungen von Anlagen führt dieser Bereich des Explosionsschutzes zu einem hohen Mehraufwand, der anfänglich nicht berücksichtigt wird. Beispielsweise ist eine Zündgefahrenbewertung durchzuführen, Bedienungsanleitungen müssen umfangreicher gestaltet werden und zusätzliche Schulungen zur Wissenserweiterung/-aktualisierung werden erforderlich. Aus diesen Gründen sollten Hersteller und Betreiber Kenntnisse im Bereich des nicht-elektrischen Explosionsschutzes erlangen, um die Anwendung, den Aufwand und die Verantwortung objektiv und realistisch einschätzen zu können.
Für den Explosionsschutz in Europa ist die maßgebende gesetzliche Vorgabe die ATEX-Richtline. Die zwingende Einhaltung der Vorgaben zum Explosionsschutz gemäß dieser Richtlinie sind eindeutig definiert. Die ATEX-Richtlinie gilt für (ATEX-Richtlinie 2014/34/EU, Art. 1, Abs. 1):
- „Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen;
- Sicherheits-, Kontroll- und Regelvorrichtungen für den Einsatz außerhalb von explosionsgefährdeten Bereichen, die jedoch im Hinblick auf Explosionsrisiken für den sicheren Betrieb von Geräten und Schutzsystemen erforderlich sind oder dazu beitragen;
- Komponenten, die zum Einbau in die in Buchstabe a genannten Geräte und Schutzsysteme vorgesehen sind.“
Die Produktklasse „Geräte“ nimmt dabei einen umfangreichen und vielfältigen Bereich ein, da „Maschinen, Betriebsmittel, stationäre oder ortsbewegliche Vorrichtungen, Steuerungs- und Ausrüstungsteile sowie Warn- und Vorbeugungssysteme“ (ATEX-Richtlinie 2014/34/EU, Art. 2, Abs. 1) zu ihnen zählen. Eine der bedeutsamsten Voraussetzung der Anwendung der ATEX-Richtlinie ist jedoch das Vorhandensein einer eigenen potentiellen Zündquelle am Gerät. Durch diese Bedingung findet die ATEX-Richtlinie sowohl im elektrischen als auch im nicht-elektrischen Explosionsschutz Anwendung. Jedoch ist zu prüfen, ob eine Anwendung zwingend vorliegt. Im Bereich der Pneumatik können beispielsweise nicht zertifizierte Schläuche oder Verschraubungen in bestimmten explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden, da sie keine eigene potentielle Zündquelle aufweisen und somit nicht zulassungspflichte Produkte sind. Jedoch muss hierbei darauf hingewiesen werden, dass die Schnittstellen des Bauteils mit der Umgebung im Rahmen einer Zündgefahrenbewertung des gesamten Gerätes hinsichtlich des Explosionsschutzes zu beurteilen sind. In diesem konkreten Beispiel könnte die Durchströmung von Pneumatikschläuchen mit verunreinigter Druckluft im ungünstigsten Fall zu elektrostatischer Aufladung führen.
Eine der größten Gefahren im nicht-elektrischen Explosionsschutz ist, dass eine potentielle Zündquelle wirksam wird.
Aus diesem Grund werden bei nicht-elektrischen Geräten mit Hilfe der Zündgefahrenbewertung alle potentiellen Zündgefahren eines Gerätes analysiert, beurteilt und durch Maßnahmen eliminiert bzw. auf ein unbedenkliches Maß minimiert. Die Zündgefahrenbewertung ist die zentrale Methodik des nicht-elektrischen Explosionsschutzes. Sie umfasst fünf grundlegende Schritte und erfordert umfangreiches Wissen und Erfahrung. Diese Methode ist nicht allgemeingültig anwendbar, sondern muss für jedes einzelne Produkt und dessen Varianten spezifisch bei der Entwicklung durchgeführt und formell dokumentiert werden. Diese Anforderung ist in der zur ATEX-Richtlinie harmonisierten Norm ISO 80079-36 verankert.
Die Norm ISO 80079-36 „Nicht-elektrische Geräte für den Einsatz in explosionsfähigen Atmosphären – Grundlagen und Anforderungen“ bildet seit Dezember 2016 auf internationaler Ebene die normative Basis des nicht-elektrischen Explosionsschutzes. Daneben gilt jedoch als Grundnorm des Explosionsschutzes die Norm IEC 60079-0. Die Anforderungen der Zündschutzarten für den nicht-elektrischen Explosionsschutz werden einerseits in der ISO 80079-37 für die Zündschutzarten Konstruktive Sicherheit, Zündquellenüberwachung und Flüssigkeitskapselung definiert. Anderseits gelten für die Zündschutzarten Überdruckkapselung (IEC 60079-2), Schutz durch Gehäuse (IEC 60079-31) und Druckfeste Kapselungen (IEC 60079-1) die Normen des elektrischen Explosionsschutzes, da diese Zündschutzarten sowohl im elektrischen als auch im nicht-elektrischen Explosionsschutz einsetzbar sind. Diese Strukturierung ergab sich durch die neue internationale Normreihe ISO 80079. Zuvor war in Europa die Normreihe EN 13463 gültig, deren einzelne Teile die Anforderungen und Zündschutzarten des nicht-elektrischen Explosionsschutzes spezifisch darstellten.
Wesentliche Unterschiede zwischen dem elektrischen und dem nicht-elektrischen Explosionsschutz bestehen auch beim Konformitätsbewertungs- und Zertifizierungsprozess. Gemäß den Anforderungen der ATEX-Richtlinie (Kapitel 3) kann die Konformität von nicht-elektrischen Geräten der Gerätekategorie 3 unter Berücksichtigung weiterer Bedingungen durch die alleinige Bewertung des Herstellers erklärt werden. Elektrische explosionsgeschützte Geräte der Gerätekategorie 2 müssen eine EU-Baumusterprüfung durch eine benannte Stelle bestehen. Die Bewertung von nicht-elektrischen explosionsgeschützten Geräten der Gerätekategorie 2 kann unter Berücksichtigung weiterer Bedingungen durch den Hersteller erfolgen. Lediglich die technischen Unterlagen sind bei einer benannten Stelle zu hinterlegen. Erst bei nicht-elektrischen explosionsgeschützten Geräten der Gerätekategorie 1 ist eine EU-Baumusterprüfung durch eine benannte Stelle durchzuführen. Alternativ kann jedoch immer einer Einzelprüfung, unabhängig von der Gerätekategorie, bei einer benannten Stelle erfolgen.
Mit einer erfolgreichen Konformitätsbewertung nach ATEX-Richtlinie kann das Produkt auf dem europäischen Markt vertrieben werden. International sind die Anforderungen der einzelnen nationalen Vorschriften zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass Konformitätsprüfungen in den einzelnen Vertriebsländern erforderlich sind. Durch die Nutzung des IECEx-Systems soll dieser Mehraufwand minimiert werden. Das IECEx-System ist eine Teilorganisation der International Electrical Commission (IEC). Grundlage des Systems bilden die Normen und Standards der IEC. Die Durchführung der erforderlichen Prüfungen erfolgt in einem anerkannten Labor und die Zertifizierung führt eine anerkannte Prüfbehörde durch. Das ausgestellte Zertifikat und die dazugehörigen Prüfberichte können als Grundlage für die nationalen Zertifizierungen genutzt werden, wodurch eine Minimierung des Prüfaufwandes möglich ist. Mit der Veröffentlichung der internationalen Normen ISO 80079-36 und -37 wurde im IECEx-System eine Zertifizierungsgrundlage für nicht-elektrische explosionsgeschützte Geräte geschaffen, da diese Normen auch vom IECEx-System anerkannte Standards sind. Die Normen wurden u.a. von Vertretern der IEC erarbeitet. Demnach können nicht-elektrische Geräte nun die Konformität nach ATEX-Richtlinie aufweisen und die Zertifizierung nach IECEx erhalten. Bei der Erfüllung der Anforderungen muss jedoch ein Detail berücksichtigt werden. Im Rahmen der ATEX-Richtlinie ist die Anwendung der Normen nicht zwingend notwendig. Andere technische Lösungen, welche die Anforderungen der ATEX-Richtlinie erfüllen, sind auch möglich, jedoch entfällt die Konformitätsvermutung. Im Rahmen des IECEx-Systems müssen die Normen angewendet werden.
Die benannten Aspekte der Zündgefahrenbewertung, der Zündschutzarten und der Konformitätserklärung sind durch die Hersteller zu berücksichtigen. Werden von Betreibern für den Eigengebrauch explosionsgeschützte Geräte entwickelt und hergestellt, sind diese und seitdem Inkrafttreten der ATEX 2014/34/EU deren Anforderungen auch vollumfänglich zu erfüllen. Die Betreiber werden zu Herstellern. Kombinieren Anwender dahingegen bereits konformitätsbewertete Produkte nach Angaben der Hersteller, ist die Betreiber-Richtlinie 1999/92/EG, die Betriebssicherheits- und die Gefahrstoffverordnung zu berücksichtigen. In diesem Fall müssen gemäß Betriebssicherheitsverordnung (§ 5, Abs. 3) die grundlegenden Sicherheitsanforderungen der allgemein gültigen Richtlinien erfüllt werden. Dies ist durch die Konformitätsbewertung der Hersteller gegeben. Demnach entfällt die eigenständige Bewertung der Konformität. Allerdings ist eine Beurteilung der Schnittstellen empfehlenswert. Ein Konformitätsbewertungsverfahren nach Maschinenrichtlinie unter Berücksichtigung des Explosionsschutzes ist aber erforderlich.
Im Bereich des nicht-elektrischen Explosionsschutzes sollten Betreiber zwingend die technische Dokumentation und die Betriebsanleitung der Geräte beachten. Die Lösungen des nicht-elektrischen Explosionsschutzes sind aufgrund der unterschiedlichsten Anwendungen und Varianten vielseitig und individuell. Der sichere Betrieb eines nicht-elektrischen Gerätes sollte durch konstruktive Maßnahmen umgesetzt werden. In einigen Fällen führt dies ggf. zu überdimensionierten und unwirtschaftlichen Lösungen oder ist technisch nicht realisierbar. Der explosionssichere Betrieb wird dann durch organisatorische Maßnahmen umgesetzt. Beispielsweise werden Wartungsintervalle verkürzt, um gefährlichen Verschleiß frühzeitig zu erkennen und das Wirksamwerden einer potentiellen Zündquelle zu vermeiden. Neben dem Explosionsschutzdokument und den Prüfungen nach Betriebssicherheitsverordnung sollte der Betreiber diese essentiellen Hinweise zum sicheren Betrieb der nicht-elektrischen Geräte berücksichtigen.
Zusammengefasst müssen Hersteller und Betreiber von Produkten des nicht-elektrischen Explosionsschutzes umfangreiche Kenntnisse in diesem Teilgebiet des Explosionsschutzes aufweisen, um alle Anforderungen und Methoden verantwortungsbewusst anzuwenden. Aufgrund der Vielfältigkeit erfolgt eine stetige Weiterentwicklung des nicht-elektrischen Explosionsschutzes. Daher sollten alle Beteiligten ihr Wissen regelmäßig durch Schulungen und Tagungen ergänzen und aktualisieren.
Literatur
EUROPÄISCHE PARLAMENT UND RAT (29.03.2014): RICHTLINIE 2014/34/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen (Neufassung). ATEX 2014/34/EU.
Norm DIN EN ISO 80079-36, 2016: Explosionsfähige Atmosphären - Teil 36: Nicht-elektrische Geräte für den Einsatz in explosionsfähigen Atmosphären - Grundlagen und
Anforderungen (ISO 80079-36:2016); Deutsche Fassung EN ISO 80079-36:2016
Norm DIN EN ISO 80079-37, 2016: Explosionsfähige Atmosphären - Teil 37: Nicht-elektrische Geräte für den Einsatz in explosionsfähigen Atmosphären – Schutz durch konstruktive Sicherheit „c“, Zündquellenüberwachung „b“, Flüssigkeitskapselung „k“ (ISO 80079-37:2016); Deutsche Fassung EN ISO 80079-37:2016
RICHTLINIE 1999/92/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. Dezember 1999 über Mindestvorschriften zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die durch explosionsfähige Atmosphären gefährdet werden können (Fünfzehnte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung -BetrSichV); Betriebssicherheitsverordnung vom 3. Februar 2015 (BGBl. I S. 49), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 30. April 2019 (BGBl. I S. 554) geändert worden ist
Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung - GefStoffV); Gefahrstoffverordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643, 1644), die zuletzt durch Artikel 148 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist
Grundlagen Explosionsschutz, Broschüre von R. STAHL Schaltgeräte GmbH: Kennzeichnung nicht-elektrischer Geräte, S. 53
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