Konformitätsbewertung in den Vereinigten Staaten
Vor wenigen Jahren hätte die Überschrift sicher noch „Konformitätsbewertung in Nordamerika“ geheißen. Da Kanada aber seine nationalen Regelungen in der Zwischenzeit Schritt für Schritt an die IEC/IECEx Praxis angepasst hat, soll im Folgenden lediglich auf die Konformitätsbewertung in den USA eingegangen werden.
Im Gegensatz zur internationalen IEC/IECEx–Gemeinde und zur Europäischen Union stellt sich die Konformitätsbewertungslandschaft in den USA allgemein und für den Explosionsschutz speziell sehr heterogen dar. Von staatlicher Seite sind drei Behörden für die Sicherheitsstandards für explosionsgefährdete Bereiche zuständig:
- OSHA - Occupational Safety & Health Administration: Industrieanlagen auf dem Festland
- MSHA - Mine Safety & Health Admistration: Bergbauanlagen
- US Coastguard: Offshore Anlagen in den Küstengewässern der USA
Nur die US Coastguard erlaubt als ein mögliches Verfahren die direkte Verwendung von Produkten mit einem IECEx–Zertifikat in explosionsgefährdeten Bereichen von Offshore Anlagen.
Zur Vereinfachung der Erklärung des sehr komplexen Themas soll in diesem Kapitel lediglich auf die von OSHA geregelten Bereiche eingegangen werden, wobei die von MSHA und US Coastguard praktizierten Verfahren denen von OSHA sehr ähneln.
Die OSHA ist eine Behörde der US–Arbeitsministeriums. Im Focus ihrer Tätigkeit liegt die Sicherheit am Arbeitsplatz. Dazu setzt sie einerseits verbindliche Regeln, andererseits ist sie für Ausbildung, Schulungen und die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Arbeitssicherheit zuständig.[1]
Über das US–Arbeitsschutzgesetz (OSH Act) werden die Arbeitgeber dafür verantwortlich gemacht, ihren Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz zu bieten, der auch frei ist von längerfristig entstehenden Gesundheitsschäden. Neben der Einhaltung dieser Generalklausel im Gesetz müssen die Arbeitgeber auch alle relevanten QSHA Normen einhalten.
Als von der Regierung herausgegebene Dokumente sind diese OSHA Normen in bis zu einem gewissen Grad mit den Europäischen Richtlinien zu vergleichen, wobei die Zielrichtung und der Detaillierungsgrad der technischen Anforderungen große Unterschiede aufweist. So werden keine relativ abstrakten Rahmenanforderungen bezüglich der Sicherheit wie z.B. im Anhang II der ATEX 2014/34/EU gestellt, sondern man definiert arbeitsplatzspezifische, zwingend einzuhaltende technische Anforderungen. Es geht auch nicht um das Inverkehrbringen (Bereitstellen) von Betriebsmitteln, sondern die OSHA-Normen wenden sich an den Arbeitgeber, der verpflichtet wird, von seinem Lieferanten die Einhaltung der Normanforderungen einzufordern. Für Betriebsmittel, die zum Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen bestimmt sind, gelten konkret die OSHA Standards:
- 29 CFR Part 1910 Subpart O „Machinery and Machine Guarding“ (2) und
- 29 CFR Part 1910 Subpart S “Electrical” (3) .
In diesen Standards wird, bezogen z.B. auf die allgemeine elektrische Sicherheit oder auf elektrische Betriebsmittel und deren Verdrahtung in explosionsgefährdeten Bereichen empfohlen, dass die darin installierten und betriebenen Geräte und Maschinen von einem nationalen Testlabor (Nationally Recognized Testing Laboratory – NRTL) geprüft und gelistet sind. Das National Recognized Testing Laboratory (NRTL) Program ermöglicht, dass privatwirtschaftliche Organisationen anerkannt und befähigt werden, Prüfungen und Zertifizierungen bestimmter Produkte als unabhängige Drittpartei durchzuführen. Jedes NRTL wird von OSHA bezüglich bestimmter Standards für Produktsicherheitsprüfungen akkreditiert. Gegenwärtig sind 20 NRTL durch die OSHA zertifiziert (4). Prinzipiell ist vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben, von welchem NRTL ein bestimmtes Produkt zugelassen sein muss. Offiziell haben alle NRTLs eine gleichwertige Bedeutung in Bezug auf die Arbeitsplatzsicherheit in den USA. Allerdings spielt die Prüfstelle Underwriter Laboratories (UL) auch wegen ihres internationalen Bekanntheitsgrades und der allgemeinen Anerkennung eine exponierte Rolle.
„UL zugelassen“ wird umgangssprachlich sehr häufig als Synonym für die Prüfung und Zertifizierung durch eine von OSHA akkreditierten Stelle verwendet. In der Vergangenheit hatte der Begriff „PTB zugelassen“ einen ähnlichen Stellenwert in Deutschland. Dazu kommt, dass UL (wie auch Factory Mutual – FM) selbst Herausgeber von Produktstandards sind, die alle NRTLs als Basis für ihre Bewertungen verwenden müssen.
Nach bestandener Prüfung und Zertifizierung durch ein NRTL ist der jeweilige Hersteller autorisiert, das Produkt mit dem registrierten Logo der Prüf- und Zertifizierungsstelle zu kennzeichnen. Neben dem Logo werden auch die Standards angegeben, deren Erfüllung attestiert wird.Für einen Außenstehenden ist es stets etwas verwirrend, sich in der Vielzahl weiterer regelsetzender Organisationen in den USA zurecht zu finden. Auch sind die Hierarchien und Zusammenhänge der unterschiedlichen Normen nicht leicht zu verstehen. Das Regelwerk welches die Sicherheit von Technischen Produkten wie Maschinen oder elektrischen Betriebsmitteln definiert kann als Mix aus nationalen Gesetzen, Brandschutzvorschriften (Fire Codes), elektrischen Richtlinien und Produktstandards beschrieben werden.
Neben der OSHA beschäftigt sich eine Vielzahl staatlicher und privater Organisationen mit der Pflege und Herausgabe der verschiedenen Dokumente:
- National Fire Protection Association (NFPA)
- American National Standard Institute (ANSI)
- American Society for Testing and Materials (ASTM)
- Institute of Electrical and Electronic Engineers (IEEE)
- Food and Drug administration (FDA)
- Federal Communications Commission (FCC)
- International Society of Automation (ISA)
- Underwriters Laboratories (UL)
Das bekannteste regelsetzende Dokument im Bereich elektrischer Sicherheit ist der ANSI/NFPA 70® – National Electrical Code (NEC) (5). Dieser wird seit 1911 von der National Fire Protection Association herausgegeben und alle drei Jahre überarbeitet. Der NEC behandelt im Wesentlichen die allgemeinen Grundsätze und Bestimmungen in Bezug auf die Sicherheit von Personen und Anlagen also unter anderem
- den Schutz gegen den elektrischen Schlag
- den Schutz gegen Thermische Einflüsse
- den Schutz gegen Überströme und Überspannungen
- den Schutz gegen Fehlerströme und
- die mechanische Sicherheit.
Besondere Bedeutung für den Explosionsschutz kommt dem Kapitel 5 zu, in dem es um „Special Occupancies“ also spezielle (gewerbliche) Betriebsstätten geht.
Article 500 enthält eine allgemeine Beschreibung der in explosionsgefährdeten Bereichen einzuhaltenden Bestimmungen und nimmt die für die USA typische Einteilung in Classes and Divisions vor:
- Class I: Bereiche, in denen brennbare Gase, Dämpfe und Nebel von brennbaren Flüssigkeiten in gefahrdrohender Menge vorhanden sein können
- Class II: Bereiche, in denen brennbare Stäube in gefahrdrohender Menge vorhanden sein können und
- Class II: Bereiche in denen leicht entflammbare Flusen in gefahrdrohender Menge vorhanden sein können.
Diese Bereiche wiederum werden in Abhängigkeit von der Auftrittswahrscheinlichkeit gefahrdrohender Mengen der oben aufgeführten Brennstoffgruppen in zwei Divisions eingeteilt (analog zu den drei Zonen im IEC – Bereich):
- Division 1: ständige bis gelegentliche Anwesenheit von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre (umfasst also die Zonen 0 und 1 in einer Kategorie)
- Division 2: seltene und kurzzeitige Anwesenheit von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre aufgrund von seltenen Fehlern in der Anlage
In Artikel 500 wird weiterhin eine Klassifikation der verschiedenen Brennstoffe vorgenommen.
So ist Group A für Acetylen vorgesehen, die Brennstoffe der Groups B, C; D umfassen auch Gase oder Dämpfe und unterscheiden sich durch ihre Mindestzündenergien, ausgedrückt durch die Mindestspaltweite und das.
Die brennbaren Stäube fallen in die Groups E, F und G. Brennbare metallische Stäube gehören in die Group E, Kohlenstäube in die Group F und die sonstigen brennbaren Stäube in die Group G.
Schließlich werden im Artikel 500 noch die für Division 1 und 2 möglichen Zündschutzarten skizziert und einige allgemeine Anforderungen an die Geräte wie beispielsweise die Einstufung der Oberflächentemperaturen vorgenommen.
In den Artikeln 501 bis 504 geht es um die Vorgaben für die Installationspraktiken in Class I bis Class III und Artikel 504 beschreibt die Anforderungen an eigensichere Systeme. In den Artikeln 505 und 506 wird die Umsetzung der IEC – Zoneneinteilung für Anlagen in den USA definiert und Artikel 510 enthält Vorgaben für spezielle Betriebsstätten wie Garagen, Reparaturwerkstätten, Flugzeughangars u.a.
Die einzelnen Anforderungen des NECs werden durch darin aufgeführte Normen konkretisiert, für deren Erstellung die oben genannten Organisationen verantwortlich sind.
Speziell für Maschinen- und Apparatebauer hat neben dem ANSI/NFPA 70 NEC auch noch der ANSI/NFPA 79 Electrical Standard for Industrial Machinery große Bedeutung.
Wenn eingangs dieses Abschnittes von der großen Heterogenität der Konformitätsbewertungslandschaft der USA gesprochen wurde, hängt das zum einen mit der Vielzahl unterschiedlicher regelsetzender Organisationen zusammen, zum anderen aber auch mit der in den jeweiligen Bundesstaaten, Landkreisen und Gemeinden des Landes geltenden Überwachungspraxis. Die Einhaltung der verschiedenen Normen und Richtlinien fällt dort in die Zuständigkeit der sogenannten „Authorities Having Juristiction – AHJ“. Je nach der lokal vorherrschenden Regelung können dies u.a. sein:
- die State Electrical Commission
- der State Fire Marshal
- das Department of Public Safety
Nur wenn die Betriebserlaubnis einer solche AHJ vorliegt, darf eine Maschine oder Anlage in Betrieb genommen werden. Dass diese Entscheidungen nicht USA – weit vergleichbar getroffen werden, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass sich unterschiedliche Bundesstaaten auf unterschiedliche Ausgabestände des NECs berufen.
Literatur
[1] www.osha.gov
[2] www.osha.gov/laws-regs/regulations/standardnumber/1910
[3] www.osha.gov/laws-regs/regulations/standardnumber/1910
[4] www.osha.gov/dts/otpca/nrtl/nrtllist.html
[5] Early, Mark W. et al; National Electric Code | 2019 | Quincy Massachusetts, NFPA
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