Globale Konformitätsbewertung mit dem IECEx-System
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts liefen in Europa die Vorbereitungen auf den vollständig harmonisierten Binnenmarkt für explosionsgeschützte Produkte. Inspiriert davon, stellte sich eine Reihe von europäischen und außereuropäischen Experten damals die Frage, ob eine Umstellung der heterogenen, national geprägten Konformitätsbewertungslandschaft auf ein homogenes, harmonisiertes System nicht auch auf globaler Ebene möglich sein könnte. In Folge dieser Überlegungen entstand innerhalb des Technischen Komitees (TC) 31 bei IEC eine Arbeitsgruppe mit der Aufgabe, ein weltweites Konformitätsbewertungssystem für explosionsgeschützte Produkte zu entwickeln. Das erste offizielle Treffen dieser Arbeitsgruppe fand 1996 in London statt. Dies war die Geburtsstunde des IECEx-Systems. Während die Einführung der ATEX-Richtlinie 94/9/EG von allen europäischen Mitgliedländern mit hoher Priorität untereinander abgestimmt stattfand und mit dem Inkrafttreten im Jahr 2003 erfolgreich abgeschlossen wurde, verliefen die ersten Jahre des IECEx-Systems wesentlich unspektakulärer. Hier mussten zunächst genügend Mitgliedsländer gefunden werden, die bereit waren, an der Gestaltung geeigneter Strukturen und grundlegender Regelungen mitzuarbeiten. Der große und grundlegende Unterschied zwischen der ATEX Richtlinie und der IECEx-Organisation ist nämlich, dass es sich bei ersterer um einen verbindlichen Rechtsrahmen (Gesetzt) innerhalb der EU handelt, während letzteres ein auf Freiwilligkeit und gegenseitiger Anerkennung beruhendes Konstrukt darstellt. Rechtlich verbindlich werden kann das IECEx-System nur dadurch, dass es in einem souveränen Rechtsgebiet zum geltenden Recht erklärt wird. Dies ist bislang allerdings lediglich in einigen wenigen Ländern der Fall.
Die erfolgreiche Einführung der ATEX 94/9/EG in Europa gab auch dem IECEx-System einen neuen Schub. Im Jahr des Inkrafttretens der Europäischen Richtlinie sprang die Anzahl der veröffentlichten IECEx-Zertifikate von 11 auf 98 und seitdem hält das jährliche Wachstum des IECEx-Certified Equipment Schemes unverändert an. Alleine im Jahr 2020 wurden 4650 Zertifikate für explosionsgeschützte Produkte ausgestellt.
Anders als in Europa, wo man sich bezüglich der Konformitätsbewertung auf die Inbetriebnahme bzw. das Inverkehrbringen der Produkte beschränkt, fing man auf Betreiben von Endkunden aus der Prozessindustrie bei IECEx bereits nach einigen Jahren damit an, die Aktivitäten auch auf weitere wichtige Stufen des Lebenszyklus der Produkte auszuweiten. So entstand 2007 das IECEx-Service Facility Scheme, das sich mit der Konformitätsbewertung von Dienstleistern wie Reparaturwerkstätten beschäftigt. 2010 wurden schließlich die ersten Personen bezüglich ihrer Kompetenz zur Durchführung von Arbeiten für und in Ex-Bereichen im Rahmen des Personel Competence Certification Schemes geprüft. Ende 2020 gab es weltweit bereits mehr als 4000 zertifizierte Fachleute für Explosionsschutz. Im Zug dieser Diversifikation entwickelte sich das übergeordnete IECEx System welches aus den beschriebenen Elementen (Schemes) besteht.
Organisation des IECEx-Systems
Das IECEx-System ist eine Teilorganisation der International Electrical Commission (IEC).
IEC ist die weltweite Organisation zur Normung der Funktionalität und Sicherheit von elektrischen und elektronischen Produkten. Neben der Erstellung und Pflege von Standards in mehr als 200 Technischen Committees (TC) und Sub Committees (SC) beschäftigt man sich in bislang vier Systemen mit der Konformitätsbewertung von Produkten, Dienstleistungen und persönlichen Fachkompetenzen. Das IECEx-System ist eines davon und wird, wie die anderen auch, vom Conformity Assessment Board (CAB) gesteuert. Diesem Board gehört jeweils ein Vertreter von 15 IEC Mitgliedsländern – darunter Deutschland – an. Der Chairman und der Executive Sekretär des IECEx-Systems berichten zweimal jährlich dem Board über die wichtigsten laufenden Aktivitäten.
Grundlegende Entscheidungen innerhalb von IECEx werden einmal im Jahr im Rahmen des IECEx-Management Comitee (ExMC) Meetings getroffen. Dazu kann jedes der derzeit 36 Mitgliedländer eine dreiköpfige Delegation entsenden und mit einer Länderstimme für oder gegen bestimmte Vorschläge zu stimmen. Das unterjährige operative Geschäft wird im Wesentlichen durch das IECEx Sekretariat in Sydney betrieben.
Wesentlichen Aufgaben sind dabei:
- Koordination der Assessments der Zertifizierungsstellen (Certification Bodies – ExCBs) sowie der Prüflaboratorien (Test Labs – ExTLs) (siehe unten),
- Pflege der Struktur und des Inhalts der IECEx – Homepage als der zentralen Informationsplattform,
- Pflege der Online – Zertifikate – Datenbank, welche rund um die Uhr den weltweiten Zugriff auf sämtliche IECEx – Zertifikate erlaubt,
- Sicherstellung der korrekten Umsetzung aller Qualitäts- und Compliance Regeln,
- Klärung von Streitfällen zwischen Herstellern und Zertifizierungsstellen u.ä.
Das IECEx System muss als ein Netzwerk von unabhängigen internationalen Prüfstellen (ExCB und ExTL) angesehen werden.
Diese werden vor ihrer ersten Anerkennung im IECEx-System von IECEx-Assessoren systematisch überprüft. Die Assessoren, bei denen es sich um ausgewählte Experten auf dem Gebiet der Tests und Zertifizierungen explosionsgeschützter Produkte handelt, stellen auf Basis der Prüfung von eingereichten Unterlagen sowie durch umfassende Audits bei den Kandidaten den Grad der Erfüllung der vom IECEx-System gestellten Anforderungen fest. Sie erstellen im Anschluss daran einen Assessmentbericht, der über das IECEx-Sekretariat an die IECEx-Mitgliedsländer zur Abstimmung verteilt wird. Wenn die Mehrheit der Mitgliedsländer den Bericht bestätigt, wird die betreffende Zertifizierungs- oder Prüfstelle in das IECEx-Netzwerk aufgenommen und kann anschließend im Rahmen des vereinbarten Geltungsbereiches (Scope) Typprüfungen an explosionsgeschützten Produkten vornehmen und/oder IECEx-Zertifikate ausstellen. Im Rahmen des IECEx-Certified Equiment Schemes gab es Ende 2020 60 anerkannte ExCBs und 68 ExTLs. Diese arbeiten operativ selbständig mit ihren Kunden – den Herstellern - zusammen; werden aber vom IECEx-Sekretariat regelmäßig überwacht. Zur planmäßigen Überwachung gehören die Wiederholungsaudits durch IECEx-Assessoren nach 5 Jahren und die Überprüfung der relevanten Dokumente nach 2, 5 Jahren. Darüber hinaus werden durch das IECEx-Sekretariat zufällig ausgewählte IECEx-Zertifikate und Test-Reports auf ihre inhaltliche und formelle Richtigkeit überprüft (etwa 10 % der im Jahr ausgestellten).
Zur Gewährleistung der erforderlichen Qualität und Vergleichbarkeit der Prüf- und Zertifizierungsergebnisse finden regelmäßig Abstimmungs- und Schulungsveranstaltungen im Rahmen der sogenannten Ex-TAG (Technical Advicory Group) Gruppe statt, in der alle ExCBs und ExTLs vertreten sind. Außerdem werden im Rahmen des sogenannten Proficiency Test Programms die Ergebnisse von speziellen standardisierten Typprüfungen zwischen allen ExTLs verglichen und die jeweiligen Kompetenzen zur Prüfungsdurchführung anschließend in Workshops abgeglichen. Die Teilnahme an diesen Programmen ist für alle ExTLs obligatorisch. Das Ex-Magazin wird im Lauf des Jahres darüber speziell berichten.
Wesentlich für den Erfolg des IECEx-Sytems ist die Homepage www.iecex.com mit der darin integrierten online-Datenbank für sämtliche gültige Zertifikate. Neben zahlreichen anderen Informationen finden die Nutzer auf der Homepage sämtliche Dokumente des IECEx – Systems zum kostenlosen Download. Die Hierarchie dieser Dokumente ist wie folgt gestaltet:
- IECEx Rules of Procedure: Allgemeine Grundregeln für die Arbeit des IECEx – Systems, die Rechte und Pflichten der beteiligten Nutzergruppen, die organisatorische Einbindung in IEC u.a.
- Operational Documents (ODs): Diese Dokumente regeln detailliert und präzise sämtliche Aktivitäten und Strukturen innerhalb des IECEx-Systems.
- IECEx-Guidelines: Dabei handelt es sich um vereinfachte Darstellungen der wichtigsten Prozesse im IECEx-System, die es neuen Nutzern erleichtern sollen, einen Einstieg in Prüf- und Zertifizierungsprozesse zu finden.
Einige dieser Dokumente werden unten anhand von ausgewählten Verfahren im Rahmen der Konformitätsbewertung beispielhaft vorgestellt.
Prinzipiell unterscheiden sich die Konformitätsbewertungsverfahren unter ATEX und unter IECEx darin, das ersteres die Einhaltung des in Anhang II der 2014/34/EU gesetzten Rahmens verlangt, während bei IECEx die Einhaltung der Anforderungen der zutreffenden Normen zwingend erforderlich ist. Diese Normen sind im Wesentlichen die von IEC TC 31 herausgegebenen Dokumente der 60079er und 80079er Reihe.
Die unter ATEX übliche Praxis der Konformitätserklärung durch den Hersteller bis hin zur alleinigen Verantwortlichkeit des Herstellers für Produkte der Kategorie 2 (nichtelektrischer Explosionsschutz-Modul A: Interne Fertigungskontrolle) findet bei IECEx keine Anwendung.
Jedes IECEx Produktzertifikat muss auf Basis einer gültigen Norm durch eine IECEx-Zertifizierungsstelle (ExCB) ausgestellt werden. Eine weitere Besonderheit des Explosionsschutzes bei IEC gegenüber ATEX sind die Geräteschutzniveaus (Equipment Protection Level EPL). In Analogie zur ATEX ergeben sich folgende Zuordnungen:
Zone | Kategorie nach ATEX | EPL |
---|---|---|
1G | Ga | |
1 | 2G | Gb |
2 | 3G | Gc |
20 | 1D | Da |
21 | 2D | Db |
22 | 3D | Dc |
Konformitätsbewertung im IECEx-System
a) Standardverfahren
Im Folgenden wird näher auf die Konformitätsbewertung im IECEx-Certified Equipment Scheme eingegangen:
Ein Hersteller, der die Zertifizierung seines Produktes nach IECEx anstrebt, findet alle dazu notwendigen Unterlagen kostenfrei auf der IECEx-Homepage (1). Zur ersten Orientierung empfiehlt es sich, den Leitfaden (Guide) IECEx 02-A /1/ zu lesen.
Ein geeignetes ExCB kann aus einer Liste auf der IECEx-Homepage in der Rubrik „Informationen“ ausgewählt werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der aufgelistete Geltungsbereich (Scope) des jeweiligen ExCBs mit dem gewählten Zündschutzkonzept (Zündschutzmethoden) in Einklang steht. Bevor der Antrag zur Prüfung und Zertifizierung gestellt wird, sollte intern geklärt werden, ob folgende Voraussetzungen gegeben sind:
- das zu prüfende Produkt erfüllt die Anforderungen der anzuwendenden Normen
- der Herstellprozess ist gemäß den Anforderungen der ISO 9001 /2/ und der ISO/IEC 80079 – 34 /3/ gestaltet.
- die Produktdokumentation erfüllt die Anforderungen der IECEx OD 017 /4/
Sollte dies der Fall sein, kann das gewählte ExCB kontaktiert werden. Von dort bekommt der Hersteller einen Zeit- und Kostenvoranschlag sowie die notwendigen Antragsunterlagen. In der Regel veröffentlichen die ExCBs auch auf Internetseiten ihre spezifischen Verfahren (2).
Zu Beginn der Zusammenarbeit wird der genaue Ablauf des Prüf- und Zulassungsverfahrens besprochen. Die Art und Anzahl der Prüfmuster für die Typprüfung und der Umfang der zu übergebenden Produktdokumentation wird vereinbart. Das ExCB legt anschließend ein mit ihm vertraglich verbundenes ExTL fest, welches die in den anzuwendenden Normen definierten Typprüfungen durchführt. Dazu werden vom Hersteller die vereinbarte Menge von Prüfmustern in dem vom ExTL spezifizierten Zustand bereitgestellt. Das ExTL führt daran die Typprüfungen durch und stellt darüber einen Prüfbericht (Test Report-ExTR) aus, welcher dem Hersteller und dem beauftragendem ExCB übergeben wird. Eigentümer dieses ExTL ist der Hersteller. Unter bestimmten Umständen, die im Operational Document OD 024 /5/ definiert sind, kann der Hersteller einen Teil der Typprüfungen in seinen eigenen Laboratorien durchführen. Diese Zusammenarbeit wird vertraglich zwischen dem ExTL und dem Hersteller vereinbart und die Prüfungsdurchführung steht unter einer angemessenen Beobachtung durch Mitarbeiter des ExTLs.
Neben den Typprüfungen an ausgewählten Produktmustern wird durch eine regelmäßige Auditierung der Produktionsstätten der Hersteller deren Qualitätsfähigkeit bewertet. Grundlage für diese Bewertung ist die ISO 9001 /2/ ergänzt durch die ISO/IEC 80079 - 34. /3/
Diese Auditierung der Qualitätsmanagementsysteme aller Produktionsstätten der Hersteller wird von einem einzigen ExCB vorgenommen und in regelmäßigen Abständen wiederholt. Diese Abstände betragen:
- 18 Monate für Hersteller, deren Qualitätsmanagementsystem gemäß ISO 9001 durch eine akkreditierte Organisation (3) auditiert wird.
- 12 Monate für alle anderen Hersteller.
Die Prüfstelle stellt nach der Auditierung einen Quality Assessment Report (QAR) aus.
Beide Dokumente, der ExTR und QAR dienen als Grundlage zur Ausstellung eines Produktzertifikates, dem Certificate of Conformity (CoC) durch den verantwortlichen ExCB.
Beide Grundlagendokumente müssen ein positives Ergebnis aufweisen. Beim QAR ist noch wichtig zu beachten, dass das auditierte QM-System alle im CoC aufgeführten Zündschutzarten umfasst.
Zu beachten ist außerdem, dass das allein gültige IECEx-Zertifikat der entsprechende Eintrag durch die ausstellende Prüfstelle (ExCB) in der IECEx Online Datenbank ist. Jede Prüfstelle hat dazu spezielle Zugriffsrechte auf den Datenbankinhalt. Ausdrucke dieser Zertifikate sind selbstverständlich möglich, es gib aber keine offiziellen unterschriebenen und gestempelten Exemplare wie das in der Vergangenheit üblich war.
Anders als der Test Report verbleibt das Produktzertifikat im Besitz der ausstellenden Prüfstelle und kann im äußersten Fall von dieser ausgesetzt oder zurückgenommen werden, wenn der Hersteller gegen die IECEx-Regeln verstößt. Damit ist gewissermaßen eine Marktaufsichtfunktion innerhalb des weltweiten Zertifizierungsnetzwerks gegeben.
Diese Option musste in den vergangenen Jahren lediglich in wenigen Einzelfällen gezogen werden.
Eine oft gestellte Frage betrifft die Gültigkeitsdauer von IECEx-Zertifikaten, insbesondere in Bezug auf Neuausgaben der dem Zertifikat zugrundeliegenden IEC-Normen. Die Basisregel IECEx 02 /6/ sagt zu diesem Thema eindeutig aus, dass ein IECEx-Zertifikat eine unbegrenzte Gültigkeit besitzt, die auch nicht durch neue Normenausgaben eingeschränkt wird. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass sich im Zuge der Weiterentwicklung von IEC-Normen ernsthafte sicherheitstechnische Bedenken den alten Stand der entsprechenden Norm betreffend ergeben, ist vorgesehen, dass das IECEx-Management-Komitee (siehe oben) eine Entscheidung über die weitere Gültigkeit der betroffenen Zertifikate treffen muss.
b) Zertifizierung nach IEC 60079-33
Wie oben beschrieben muss jedem IECEx-Produktzertifikat eine gültige Norm zugrunde liegen. Eine Zertifizierung auf Basis von Rahmenfestlegungen, wie sie mit Anhang II der ATEX 2014/34/EU möglich ist, gibt es somit nicht. Allerdings musste man auch bei IECEx dem Wunsch der Industrievertreter entsprechen, neue innovative Lösungen schnell in Produktzertifikate zu überführen, auch wenn diese noch nicht in die Basisnormen aufgenommen wurden. Zu diesem Zweck wurde bei IEC TC 31 die Norm IEC 60079 – 33 /8/ entwickelt, die im Jahr 2016 veröffentlicht wurde.
Mit diesem Dokument wird gewissermaßen ein Kunstgriff vorgenommen, indem man in Analogie zur ATEX ebenfalls einen Rahmen beschreibt innerhalb dessen die wesentlichen Sicherheitsanforderungen durch innovative Lösungen erfüllt werden müssen, dieses aber in eine vollwertige IEC Norm platziert. Von Seiten des IECEx-Systems wird das Zertifizierungsverfahren im Operational Document OD 233 /9/ beschrieben.
Prinzipiell sind die Hersteller aufgerufen, zunächst zu prüfen, ob das von ihnen konzipierte Produkt durch eine oder mehrere existierende Zündschutzarten realisiert werden kann. Die Anwendung der Sonderschutzart „s“ nach IEC 60079-33 soll damit auf wirkliche Innovationen beschränkt bleiben, für die es bislang keine Vorgaben in den gültigen Normen (und Normentwürfen) gibt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann eine Zertifizierung nach IEC 60079-33 vorgenommen werden. Die Wege zur Sicherstellung eines ausreichenden Explosionsschutzkonzeptes können umfassen:
- Völlig neuartige Lösungen die bislang von keiner Zündschutzmethode teilweise abgedeckt werden,
- Lösungen, die zwar auf einer oder mehreren Zündschutzmethoden basieren aber von diesen nicht vollständig abgedeckt werden,
- Lösungen, bei denen der angestrebte Anwendungsbereich außerhalb der in existierenden Standards definierten Grenzen liegt. (z.B. Umgebungsdruck oder –temperaturen, Sauerstoffgehalt in der Luft)
Wie alle Betriebsmittel müssen die mit Sonderschutzart „s“ geschützten in ein Geräteschutzniveau (EPL) eingestuft werden.
Als Besonderheit wird in der IEC 60079-33 die Funktion des unabhängigen Gutachters (Independent Verifier) eingeführt. Laut Definition in /8/ handelt es sich dabei um eine juristische Person (Individuum oder Organisation) mit einer ausreichenden Fachkompetenz in den zu bewertenden Zündschutztechniken. (In /8/ sind diese Kompetenzen detailliert beschrieben). Sie ist verantwortlich für die Bewertung der relevanten Berechnungen, des Konstruktionsprinzips sowie der Ergebnisse durchgeführter Typprüfungen. Eine wichtige Voraussetzung ist die völlige Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung durch den Gutachter. Ein solcher kann ein Mitarbeiter eines ExCBs oder ExTLs, aber auch eine externe Person oder Organisation sein. Der betroffene ExCB muss eine Liste der eigenen Gutachter führen und darin die jeweiligen Kompetenzen und Aufgaben auflisten. Diese Aufzeichnungen werden während der regulären Assessments durch IECEx regelmäßig kontrolliert.
Um den jeweiligen Anforderungen an das jeweilige Geräteschutzniveau Rechnung zu tragen, legt die IEC 60079 – 33 fest, dass:
- Für die niedrigstes EPLs, Gc und Dc die Bewertung durch einen unabhängigen Gutachter,
- für die mittleren EPLs, Gb und Db die Bewertung durch zwei unabhängige Gutachter und
- für die höchsten EPLs, Ga und Da die Bewertung durch drei unabhängige Gutachter erforderlich ist.
Die hohe Bedeutung der unabhängigen Gutachter wird auch dadurch unterstrichen, dass in /8/ gefordert wird, dass diese entweder direkt über die IEC TC31 – Aktivitäten informiert oder in diese aktiv eingebunden werden müssen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gutachter stets auf dem aktuellen Stand der Technik des Explosionsschutzes sind.
In der Norm werden weiterhin allgemeine Angaben für jedes EPL zur Zündquellenfreiheit gemacht und die Hersteller werden zur Durchführung einer systematischen Zündquellenanalyse aufgefordert, die von den unabhängigen Gutachtern bestätigt werden muss. Das Verfahren zur Zündquellenanalyse entspricht dem in der EN 13463 -1:2009 /10/ beschriebenen auf das sich auch die ISO/IEC 80079 -36 als Basisnorm bezieht /11/.
Die Sonderschutzart „s“ wird in der Kennzeichnung des Gerätes angegeben. Sollten weitere Zündschutzmethoden angewendet worden sein, sind diese ebenfalls anzugeben.
In /11/ ist außerdem beschrieben, dass es erforderlich sein kann, dass die mit der Sonderschutzart verbundenen speziellen Fertigungsbedingungen durch ein spezielles Audit des Qualitätsmanagementsystems bewertet werden müssen.
c) Zertifizierung von Baugruppen
Im Rahmen des globalen IECEx Systems bestand - genau wie im Geltungsbereich der ATEX - der Bedarf Baugruppen, bestehend aus zertifizierten und nicht zertifizierten Geräten, Komponenten sowie den dazu erforderlichen elektrischen und mechanischen Verbindungselementen als Gesamtheit zu zertifizieren. Auch für diese Fälle ist die Grundbedingung für die Ausstellung eines IECEx-Zertifikates in jedem Fall eine Erfüllung der Anforderungen eines gültigen IEC-Standards oder ggf. einer IEC-Technischen Spezifikation (IEC-Technical Spezification-TS) erforderlich. Aus diesem Grund musste vor dem Start von Zertifizierungsaktivitäten zunächst ein solches Dokument erstellt werden. Die Resonanz auf dieses Projekt war innerhalb von IEC TC 31 außerordentlich groß was sich anhand der zahlreichen Beteiligung in dem beauftragten Maintenance Team (MT) und der sehr kurzen Erarbeitungszeit nachweisen lässt. Zur ersten Sitzung des Maintenance Teams kamen zu Beginn des Jahres 2015 mehr als 50 internationale Experten in Windsor (UK) zusammen und die fertige Technische Spezifikation IEC TS 60079 - 46 wurde bereits im August 2018 /12/ veröffentlicht. Nicht unter den Geltungsbereich der TS fallen:
- Geräte, die in ihrer Gesamtheit durch eine oder mehrere Zündschutzarten geschützt geprüft und zertifiziert sind, wie z.B. komplette Niederspannungs-Schaltanlagen oder -Verteilungen
- Mit Überdruck geschützte oder künstlich belüftete Räume nach IEC 60079 – 13 bzw. IEC TR 60079 – 16
- Installationen in Anlagen von Betreibern, die nach den Regeln (4) der IEC 60079 – 14 errichtet wurden.
Die Prüfung und Zertifizierung von Baugruppen findet bei IECEx nach ähnlichen Regeln statt wie unter dem Geltungsbereich von ATEX. Die entscheidenden Kriterien sind zum einen auf der Geräteebene das Vorliegen oder das Fehlen von individuellen IECEx-Zertifikaten für die einzelnen Geräte und Komponenten der Baugruppe und zum anderen die Risikobewertung bezüglich des Zusammenbaus der Baugruppe. Sollten für einzelne Geräte kein Zertifikat vorliegen, müssen diese Geräte im Rahmen der Prüfung und Zertifizierung der gesamten Baugruppe entsprechend der zutreffenden Normen geprüft und bewertet werden. Da beim Zusammenbau der Baugruppe neue Zündgefahren entstehen können, muss eine Zündquellenanalyse gemäß ISO/IEC 80079 – 36 /11/ durchgeführt werden. Die elektrischen Verbindungen zwischen den Geräten der Baugruppe müssen gemäß den Vorgaben der IEC 60079 – 14 /13/ durchgeführt werden.
Abweichend von den ATEX-Regeln enthält die IEC TS 60079 – 46 keine Unterscheidung zwischen vollständig und genau spezifizierten Baugruppen einerseits und modular aufgebauten Baugruppen, die in unterschiedlichen Konfigurationen ausgelegt sein können. Letzteres ist allerdings nicht explizit ausgeschlossen und sollte zwischen dem Hersteller und der IECEx-Zertifizierungsstelle vereinbart werden.
d) Zertifizierung von Nichtelektrischen Produkten
Wegen der Neuheit und Komplexität des Themas hat man bei IECEx ein spezielles Operational Document (OD 280)/14/dazu verfasst. Dieses soll als Leitfaden (engl. Guide) für Hersteller, Zertifizierungsstellen (EXCB) und Testlaboratorien (EXTL) dienen.
Von den Herstellern wird danach erwartet, dass sie eine Zündgefahrenbewertung nach IEC 80079 – 36 /11/ vorbereiten und durchführen. Die Methode selbst wird in einem separaten Artikel des Ex-Magazins ausführlich beschrieben. Bei Bedarf soll ein Hersteller kompetente Mitarbeiter in das Bewertungsteam der Zertifizierungsstelle delegieren. Um einen effektiven und effizienten Informationstransfer zu gewährleisten ist dies sicherlich auch in speziellen Fällen empfehlenswert. Die zur Prüfung und Bewertung eingesandten Testmuster sollten mit von einer umfassenden Dokumentation gemäß den Anforderungen der OD 017 /4/ begleitet werden.
Jedes ExCB kann weitestgehend selbstständig festlegen, wie man die Zündgefahrenbewertung des Herstellers auf Plausibilität und Richtigkeit überprüfen will. Einige Grundvorrausetzungen dafür sind in der OD 280 jedoch beschrieben wie z.B. dass,
- das ExCB dazu ein Expertenteam zusammenstellen sollte, dem auch Herstellervertreter angehören können,
- in Zusammenarbeit mit dem ExTL und dem Hersteller sollte ein Projektplan erarbeitet werden, der den Ablauf der Prüfung und Bewertung sowie die anzuwendenden Standards enthält.
- In diesem Projektplan sollten auch die notwendigen Prüfungen durch das ExTL sowie die vom ExTL überwachten Prüfungen in den Herstellerlaboratorien enthalten sein.
- Nach erfolgreichem Abschluss wird ein Prüfbericht (ExTR) verfasst, der die Detailergebnisse der Zündquellenbewertung und weitere Informationen der durchgeführten Untersuchungen enthält.
Eine wichtige Entscheidung von Seiten des ExCB/ExTL ist die über die Akzeptanz von Prüfergebnissen Dritter. Dies sind z.B. Deklarationen über die Materialeigenschaften von Kunststoffen wie die UV-Beständigkeit oder die Materialzusammensetzung. Hier muss beachtet werden, dass häufig nur der Ursprungshersteller in der Lage ist, die erforderlichen Daten zu liefern. Ebenfalls entschieden werden muss über die Verwendung von Prüfungsergebnissen der Hersteller. Zur Anerkennung eigener Prüfungen muss der Hersteller die Zustimmung des ExCBs besitzen und die Anforderungen der OD 024 /6/ erfüllen.
Die meisten Maschinen und Apparate werden elektrisch gesteuert und angetrieben und erfüllen mechanische Funktionen. Es liegen also in der Regel sowohl Elemente des elektrischen als auch des nicht-elektrischen Explosionsschutzes vor, die zertifiziert werden müssen. Der Hersteller hat dazu laut/12/ folgende Optionen:
- Zertifizierung nur des elektrischen Teils
- Zertifizierung des nicht-elektrischen Teils
- Zertifizierung beider Elemente in einem Zertifikat.
Die ersten beiden Möglichkeiten dürften für Hersteller von modular aufgebauten Geräten interessant sein während letztere für die Zertifizierung kompletter Seriengeräte geeignet ist. Hier muss aus der Gerätebeschreibung hervorgehen, welche Teile des Betriebsmittels vom Zertifikat erfasst werden.
Literatur
1. Guidance for Applicants seeking IECEx Certification under the IECEx Certified Equipment Scheme, IECEx 02 Ed. 2. www.iec.com. [Online] October 2011. [Zitat vom: 17. 06 2020.]
2. ISO 9001 Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen . Berlin : Beuth, 2015.
3. ISO/IEC Explosionsgefährdete Bereiche - Teil 34: Anwendung von Qualitätsmanagementsystemen für die Herstellung von Ex-Produkten. Berlin : Beuth, 2018.
4. OD 017 Operational Document - Drawing and documentation Guidance for IEC Ex Certification – for use by Manufacturers and ExTLS - Ed 6. www.iecex.com. [Online] 08. Juli 2019. [Zitat vom: 17. 06 2020.]
5. OD 024 Operational Document IECEx Rules of Procedure covering testing, or witnessing testing at a manufacturer’s or user’s facility (Ed 3.1). www.iecex.com. [Online] 14. November 2019. [Zitat vom: 17. Juni 2020.]
6. IECEx 02: IEC System for Certification to Standards relating to Equipment for use in Explosive Atmospheres (IECEx System)IECEx Certified Equipment Scheme covering equipment for use in explosive atmospheres – Rules of Procedure (Ed 7.1). www.iecex.com. [Online] 01. November 2019. [Zitat vom: 17. Juni 2020.]
7. ATEX 2014/34/EU: Leitlinien 2. Ausgabe. [Online] Dezember 2017. [Zitat vom: 20. 05 2019.]
8. DIN IEC Explosionsfähige Atmosphäre - Teil 33: Geräteschutz durch Sonderschutz "s". Berlin : Beuth, 2016.
9. OD 233 Operational Document: IECEx Certified Eqipment Scheme - Assessment of Ex "s" Equipment. www.iecex.com. [Online] February 2017. [Zitat vom: 04. April 2020.]
10. EN 13463-1: Nicht-elektrische Geräte für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen - Teil 1: Grundlagen und Anforderungen. Berlin : Beuth, 2009.
11. DIN EN ISO 80079-36: Explosionsfähige Atmosphären - Teil 36: Nicht-elektrische Geräte für den Einsatz in explosionsfähigen Atmosphären - Grundlagen und Anforderungen. Berlin : Beuth, 2016.
12. DIN IEC TS 60079 - 46: Explosionsgefährdete Bereiche - Teil 46: Gerätegruppen. Berlin : Beuth, 2018.
13. DIN EN IEC 60079 - 14: Explosionsgefährdete Bereiche-Teil 14: Projektierung, Auswahl und Errichtung elektrischer Anlagen. Berlin : Beuth, 2013.
14. OD 280: Operational Document IECEx Certified Equipment Scheme – Guide to Certification of Non-electrical Equipment and Protective Systems. www.iecex.com. [Online] 30. September 2018. [Zitat vom: 13. Februar 2020.]
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