Explosionsschutz und Digitalisierung für die Automatisierung
DOI: 10.60048/exm20_15
Der Trend zur Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Auch die Prozessautomatisierung beschäftigt sich auf den unterschiedlichsten Ebenen damit. Die neuen Abkürzungen wie NOA (NAMUR Open Architecture), OPAF (Open Process Automation™ Forum) oder MTP (Module Type Package) tauchen in fast jeder aktuellen Fach-Publikation auf. Im Unterschied zur industriellen Automatisierung kommt eine weitere Hürde dazu – die explosionsgefährdeten Bereiche in vielen Anlagen der Chemie-, Pharma- oder Öl&Gas-Unternehmen. Insbesondere die IP-Kommunikation bis in die Feldebene spielt in diesen Branchen und bei den neuen Konzepten eine wichtige Rolle. Die NAMUR Empfehlung NE168 „Anforderungen an ein Ethernet-Kommunikationssystem für die Feldebene“ fordert daher auch den „geeigneten Explosionsschutz“ für solche „Ethernet in the Field“-Lösungen. In der Vergangenheit hat sich die Zündschutzart „Eigensicherheit“ gemäß DIN EN 60079-11 in diesen Branchen bewährt und ist global sehr gut etabliert. Allerdings können je nach Applikation und Anforderung auch durchaus andere Lösungen sinnvoll sein.
Im Folgenden soll auf die unterschiedlichen Konzepte und ihren Bezug zum Explosionsschutz eingegangen werden, unter besonderer Berücksichtigung des Themas „Ethernet im Feld“.
Neue Konzepte braucht das Land – NOA, OPA, MTP
Die Automatisierungspyramide als Basisarchitektur in der Prozessautomatisierung hat sicher noch lange nicht ausgedient – allerdings wird zunehmen an ihrem Sockel gekratzt. Bei dem Projekt NAMUR Open Architecture (NOA) setzt man nach wie vor auf die klassische Pyramide, erweitert diese aber um zusätzliche Funktionen. Ein Ansatz, der insbesondere ideal für Anlagenerweiterungen (Brownfield) aber auch durchaus für Neuanlagen (Greenfield) geeignet ist. Diese Erweiterung, auch als „zweiter Kanal“ bezeichnet, dient in erster Linie dazu, zusätzliche Informationen aus den Prozessen und den Feldgeräten nutzbar zu machen. Der zweite Kanal kann entweder als zusätzliche Infrastruktur aufgebaut werden oder die bereits vorhandene Infrastruktur nutzen, was deutlich effektiver ist. Speziell mit modernen Remote I/O Systemen mit Ethernet-Connectivity lässt sich diese Struktur relativ einfach erreichen, mit den geeigneten, bescheinigten Produkten sogar in explosionsgefährdeten Bereichen bis in die Zone 1. Die Netzwerkanbindung erfolgt dann entweder über explosionsgeschützte Lichtwellenleiter oder eigensicheres Ethernet – dazu später mehr. In Bestandsanlagen kommuniziert ein Remote I/O System weiterhin z.B. über den klassischen PROFIBUS DP mit dem Leitsystem. Parallel ist als zweiter Kanal ein Ethernet-Netzwerk angeschlossen, das für die erweiterten Diagnosen und für HART-Datenübertragung genutzt wird. Bei einer Umrüstung des Leitsystems auf z.B. PROFINET ist damit die erforderliche Ethernet-Infrastruktur bereits vorhanden und der Prozessbus wird auf PROFINET-Kommunikation umgestellt - damit nur noch ein Netzwerk für die Prozessdaten, Diagnosen und HART-Informationen. Der Zugriff auf diese zusätzlichen Daten von Engineering Stationen oder Cloud-Systemen erfolgte bisher mittels integriertem Webserver oder FDT/DTM. Mittlerweile sind aber auch auf OPC UA basierende Lösungen verfügbar und auch die moderne FDI Technologie (Field Device Integration) soll demnächst über eine neue Arbeitsgruppe für Remote I/Os einsetzbar werden.
Im Rahmen der Arbeiten an der NAMUR Open Architecture kommt dem offenen Standard OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) durch seine Hersteller- und Plattformunabhängigkeit für den Datenaustausch eine größere Bedeutung zu. OPC UA überträgt nicht nur Daten von Geräten oder Maschinen, wie es viele andere Protokolle auch tun, sondern ist in der Lage, diese verständlich für Maschinen zu beschreiben, die sogenannte Semantik. Dazu werden entsprechende Informationsmodelle der jeweiligen Geräte und Maschinen benötigt. Diese sind bei OPC UA in sogenannten „Companion Specifications“ beschrieben. Während es für industrielle Anwendungen wie z.B. Robotik schon viele dieser Companion Specifications gibt, war die Prozessautomatisierung hier bisher weniger vertreten. In 2017 begann die FieldComm Group (FCG) zunächst zusammen mit der OPC Foundation, später dann auch mit Unterstützung von NAMUR und PROFIBUS/PROFINET International, ein Process Automation Device Information Model oder kurz PA-DIM zu spezifizieren welches im Juni 2020 in der Version 1.0 veröffentlicht wurde. Damit kann z.B. eine Remote I/O die Informationen angeschlossener, klassischer HART Feldgeräte auslesen, diese in das PA-DIM übersetzen und über Ethernet und OPC UA anderen Systemen und der Cloud zur Verfügung stellen. Allerdings fehlen noch die erforderlichen Spezifikationen für eine standardisierte Übersetzung von HART in PA-DIM, was aber nur eine Frage der Zeit ist.
Noch einen Schritt weiter geht das Open Process Automation™ Forum. Hier verlassen wir die klassische Pyramide hin zu dezentralen Strukturen. Prozessleitebene, Steuerungsebene sowie Teile der Feldebene wie Remote I/Os, Wireless Gateways oder Analysegeräte sind auf einer Ebene über einen Real-time bus miteinander verbunden – der wiederum auf Ethernet mit OPC UA basieren kann. Spezieller Fokus liegt bei OPAF auf der durchgängigen Interoperabilität der unterschiedlichsten Hersteller bis hin zur vollständigen Austauschbarkeit von Komponenten. Ein sicher revolutionärer, Ansatz der bis zur praktischen Realisierung sicher noch seine Zeit brauchen wird. Insbesondere wenn man an kritische Installationen in explosionsgefährdeten Bereichen und hohe Verfügbarkeitsanforderungen denkt. Wobei auch hier die Basistechnologie für den Explosionsschutz über z.B. eigensicheres Ethernet oder explosionsgeschützte Remote I/O Systeme grundsätzlich bereits verfügbar ist.
Konzeptionell weiter fortgeschritten ist hier das Konzept der modularen Automatisierung, welches bereits auch in NOA und OPAF gedanklich Einzug gehalten hat. Der Grundgedanke, immer wieder kehrende Applikationen, Maschinen oder Package Units nur einmal zu planen und dann diese als Module mit einer Standardschnittstelle in die Prozesslandschaft einzuklinken. Damit deutliche Einsparungen bei der Planung und bei Inbetriebnahmen sowie durch Wiederverwendbarkeit solcher Lösungen. Kern dieses Konzeptes ist das standardisierte Module Type Package (MTP), welches die Eigenschaften und Schnittstellen eines Moduls beschreibt. Neben diesen Beschreibungen, quasi den Geräte-Treibern, müssen auch die physikalischen Schnittstellen zusammenpassen. Wieder zeigt sich Ethernet bzw. die damit eng verbundene IP-Kommunikation als eine ideale Basis, um offene und interoperable Lösungen zu schaffen – und wieder kommen wir zur Frage, wie wird das im explosionsgefährdeten Bereich umgesetzt?
Ethernet, der gemeinsame Nenner der Digitalisierung
Eine digitale Infrastruktur in den Anlagen der Prozessindustrie ist keine neue Forderung. Der ein oder andere wird sich noch an die sogenannten Feldbuskriege der 1990er Jahre erinnern, als verschiedene Feldbuslösungen um die Gunst der Anwender buhlten. Die daraus entstandenen Lösungen, die heute im Einsatz sind, erfüllen aber weder alle aktuellen Anforderungen der Anwender noch erscheinen sie geeignet, um eine zukunftsorientierte Lösung für die digitalen Produktionsanlagen der Zukunft zu bieten. Ethernet, oder eigentlich genauer gesagt, die damit verbundene Möglichkeit zur anlagenweiten IP-Kommunikation von der Feldebene bis zum Leitsystem - und auch noch darüber hinaus – bietet hierfür bessere Voraussetzungen und bietet sich grundsätzlich als Lösung an. Die beständige Weiterentwicklung der Ethernet-Technologie, wie z.B. höhere Datenraten oder bessere Echtzeitfähigkeit, sowie die global installierte Basis und die Menge an verfügbaren Ethernet-Komponenten und -Tools untermauern die Zukunftsfähigkeit. Allerdings stellt die Prozessindustrie weitergehende Anforderungen. Lange Anlagen-Lebenszeiten und die daraus resultierende lange Nutzung der Prozessleitsysteme, Feldgeräte und zugehörigen Infrastruktur sowie hohe Anforderungen an Sicherheit, Security und Verfügbarkeit sind besondere Herausforderungen für digitale und vernetzte Kommunikationssysteme. Und dazu gehört dann eben nicht zuletzt die Forderung nach einem einfach anwendbaren Explosionsschutz, wobei hier explizit die Zündschutzart Eigensicherheit „i“ (DIN EN 60079-11) im Vordergrund steht.
Seit Jahren existieren verschiedene firmenspezifische, proprietäre Realisierungen von eigensicherem Ethernet. Diese sind allerdings weder zueinander kompatibel noch erfüllen sie die etablierten globalen IEEE Standards. Im Folgenden soll daher nicht weiter auf diese Speziallösungen eingegangen werden. Alternativ werden z.B. Remote I/O Systeme und HMI seit über 10 Jahren mit Ethernet in explosionsgefährdeten Bereichen mit Lichtwellenleitern installiert. Speziell die an die Eigensicherheit angelehnte Zündschutzart für optische Strahlung „op is“ (optisch inhärent sicher, DIN EN 60079-28 „„Explosive atmospheres – Part 28: Protection of equipment and transmission systems using optical radiation“) kombiniert diesen flexiblen Explosionsschutz mit großen Entfernungen von bis zu 30 km und hoher Störfestigkeit. Allerdings existieren viele Anwendungen, in denen Lichtwellenleiter entweder strukturell nicht akzeptiert werden oder funktionell gar nicht einsetzbar sind – wenn z.B. auch die Energieversorgung über das Kabel erfolgen soll, wie es bei Feldbussen in der Prozessautomatisierung üblich ist.
Grundsätzlich lassen sich Ethernet-Kabel in explosionsgefährdeten Bereichen auch nach der Zündschutzart erhöhte Sicherheit „e“ (IEC 60079-7) bzw. als Lichtwellenleiter nach „op pr“ (geschützte Verlegung nach IEC 60079-28) verlegen. Dies basiert auf einer Kombination von elektro-mechanischen Schutzmaßnahmen, damit die Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre durch Funken, Erwärmung bzw. optische Energie verhindert wird. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die geeigneten Kabel und die Leitungsführung zu legen, um Beschädigungen und damit potentielle Zündquellen zu vermeiden. Gängige RJ45-Stecker sind allerdings für Anwendungen in Zone 1 ungeeignet und es kommen bescheinigte Zone 1 Ethernet-Klemmen zum Einsatz. Umbauten oder Wartungsarbeiten in explosionsgefährdeten Bereichen sind allerdings mit diesen Zündschutzarten nur eingeschränkt möglich und erfordern im Normalfall eine Abschaltung der Systeme.
Wie das Ethernet eigensicher wurde – Ethernet-APL und 100BASE-TX-IS
Die Zündschutzart Eigensicherheit basiert darauf, dass zur Zündung einer definierten explosionsfähigen Atmosphäre eine bestimmte Menge Energie benötigt wird. Um eine Zündung zu vermeiden, wird daher die Energiemenge in einem eigensicheren Stromkreis auf ein ungefährliches Maß reduziert, indem Strom und Spannung entsprechend begrenzt werden. Bei eigensicheren Stromkreisen und Geräten lassen sich daher innerhalb von explosionsgefährdeten Bereichen erforderliche Arbeiten wie z.B. Erweiterungen, Umbauten oder Reparaturen unter Spannung (hot work) durchführen und Geräte hinzufügen oder trennen (hot swap), ohne dass eine vollständige Abschaltung von Anlagen oder Anlagenteilen erforderlich ist. Als nachteilig wird häufig das erforderliche rechnerische Nachweisverfahren für die eigensichere Installation aufgeführt sowie die Einschränkung der verfügbaren Energie auf ca. 2 Watt. Aspekte, die auch bei der Entwicklung von eigensicherem Ethernet eine Rolle spielen.
Diverse Ex i-Ethernet Ansätze scheiterten in der Vergangenheit an der fehlenden Interoperabilität und Kompatibilität zu internationalen Standards wie der IEEE.
Um die Anforderungen der Anwender, wie z.B. von der NAMUR in der NE 168 formuliert, für ein interoperables, eigensicheres, einfach handhabbares Ethernet zu erfüllen, haben sich daher vor einigen Jahren Herstellern zusammengetan. Die beiden Arbeitsgruppen Advanced Physical Layer (APL) Project auf der einen und Intrinsicaly Safe Ethernet Working Group auf der anderen Seite erarbeiten Lösungen für standardisiertes eigensicheres Ethernet in zwei unterschiedlichen Einsatzfällen.
Ethernet-APL ist die dedizierte Lösung für den Einsatz von Ex i-2-Leiter-Feldgeräten in der Prozessautomatisierung. Die Technologie basiert auf dem Physical Layer von Single Pair Ethernet (SPE) 10BASE-T1L nach der relativ neuen Spezifikation IEEE Std 802.3cg-2019. SPE wurde konzipiert, um auf 2-Draht-Leitungen Entfernungen bis 1000 m bei 10 Mbit/s zu überbrücken und bietet gleichzeitig eine optionale Versorgung der angeschlossenen Geräte (Power over Date Lines, PoDL).
Ethernet-APL ist zu den meisten Eigenschaften von SPE kompatibel, verwendet allerdings ein von PoDL abweichendes Speisekonzept für Feldgeräte um die Verwendung der Zündschutzart Eigensicherheit zu ermöglichen. Es werden auch andere Steckverbinder bzw. vorrangig Klemmverbindungen zum Einsatz kommen, da bei Ethernet-APL der Einsatz im Feld in der Prozessautomatisierung im Vordergrund steht.
Im APL-Projekt wird insbesondere die eigensichere Erweiterung zu SPE zum Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen der Zone 0 und 1 bzw. für NEC Installationen auch DIV 1 und 2 entwickelt. Angelehnt an das Ex i-Systemkonzept für Feldbusse, FISCO (Fieldbus Intrinsically Safe Concept), wurde zusammen mit der DEKRA EXAM 2-WISE (2-Wire Intrinsically Safe Ethernet) entwickelt, sodass Ethernet-Geräte unterschiedlicher Hersteller auch ohne den wenig geliebten rechnerischen Eigensicherheitsnachweis zusammengeschaltet werden dürfen. Kabelparameter müssen daher im Rahmen der spezifizierten Ethernet-APL Parameter ebenfalls nicht weiter betrachtet werden. 2-WISE basiert wie FISCO auf der IEC 60079-25 „Eigensichere Systeme“ und vereinfacht Planung und Ex i Nachweise signifikant. Um die Migration von bestehenden Feldbusinstallationen möglich einfach zu gestalten, hat 2-WISE dieselben Ex i Parameter wie sie bei FISCO spezifiziert wurden und es dürfen auch die sogenannten Feldbus Typ A Kabel verwendet werden. Im Wesentlichen besteht damit der Unterschied in der deutlich höheren Datenrate von Ethernet-APL mit 10 Mbit/s im Vergleich zu den FISCO Feldbussen mit 31,25 kBit/s.
Das 2-WISE Konzept soll im März 2021 als Technical Specification in der IEC TS 60079-47 “Equipment protection by 2-Wire Intrinsically Safe Ethernet concept (2-WISE)” veröffentlicht werden.
Natürlich lassen sich Ethernet-APL Netzwerke in explosionsgefährdeten Bereichen auch mit anderen Zündschutzarten wie erhöhte Sicherheit „e“ oder druckfeste Kapselung „d“ installieren, dann aber ohne die komfortablen „hot swap“ bzw. „hot work“ Eigenschaften der Eigensicherheit.
Neben der komfortablen Lösung für den Explosionsschutz weist Ethernet-APL auch andere Vorteile auf. Über eine zentrale Systemspeisung von ca. 90 W lassen sich in einem Netzwerk typisch bis zu 50 Feldgeräte versorgen. Ethernet-APL gestattet unterschiedliche Installationskonzepte. Eine typische Struktur für Installationen in explosionsgefährdeten Bereichen entstammt der klassischen Feldbustechnik. Der APL Power Switch versorgt das Ethernet-Netzwerk über max. 1000 m mit Energie. Im Feld, also z.B. Zone 1 oder Zone 2, werden APL Field Switches installiert, die die über diesen Trunk zugeführte Energie in eigensichere Energie wandeln und auf ihre Abgänge, die sogenannten Spurs, aufteilen. An den bis zu 200 m langen Ex i Spurs werden die Feldgeräte betrieben und mit Energie versorgt. Je nach Ausprägung der Spurs als ia, ib oder ic Stromkreise entsprechend in Zone 0, 1 oder 2 installiert..
Neben der o.g. Speisung der Field Switches über den Trunk sind alternativ auch fremdgespeiste Field Switches möglich. Diese kommunizieren dann typischerweise am Standard-Ethernet Backbone wie z.B. 100BASE-TX oder –FX und lassen sich in Ringstrukturen einbinden. In der Kombination unterschiedlicher Ethernet Technologien und –Topologien ergeben sich eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten und Applikationen.
Außer Hersteller-Unternehmen sind auch vier Standard Entwicklungsorganisationen (SDO) für industrielle Kommunikation beteiligt:
FieldComm Group (FCG), ODVA, OPC Foundation und PROFIBUS+PROFINET International (PI). Die SDO stellen sicher, dass Ethernet-APL auf der einen Seite kompatibel zu den jeweiligen Kommunikationsprotokollen ist, also zu HART-IP (FCG), EtherNet/IP (ODVA), OPC UA (OPC Foundation) und PROFINET (PI). Auf der anderen Seite sorgen sie dafür, dass die Technologie von ihren Mitgliedsfirmen adaptiert und verbreitet wird.
Für Geräte, die höhere Bandbreiten und mehr Energie benötigen als mit Ethernet-APL derzeit zur Verfügung steht, wurde 100BASE-TX-IS spezifiziert. Im Fokus stehen hier z.B. komplexe Feldgeräte, Analysegeräte, Bedienterminals oder auch Remote I/O Systeme. Die Arbeitsgruppe „Intrinsically Safe Ethernet Working Group“ erweitert das verbreitete 100BASE-TX Ethernet gemäß IEEE 802.3 um ein eigensicheres Frontend. Damit ist 4-Draht Ethernet mit Datenraten von bis zu 100 Mbit/s als eigensichere Ausführung verfügbar und dabei vollständig interoperabel zum Industriestandard. Die Kern-Elektronik von Geräten mit IEEE 802.3u konformen MAC (Media Access Control) und 100BASE-TX PHY (Physical Layer) bleibt bestehen und wird um eine Ex i Schaltung ergänzt. Gegebenenfalls sind noch zusätzliche galvanische Trennungen zur Versorgung erforderlich.
Auch hier ist, ähnlich wie bei Ethernet-APL, kein aufwändiger Nachweis der Eigensicherheit erforderlich, ein einfacher Vergleich der 100BASE-TX-IS konformen Teilnehmern ist ausreichend. Da die Randparameter einer 100BASE-TX-IS Installation immer bekannt sind, also zwei Teilnehmer (Punkt-zu-Punkt) - sprich genau zwei Energiequellen - und max. 100 m Typ CAT5/6/7 Kabel, lässt sich auf Basis der IEC 60079-25 ein allgemeingültiger Eigensicherheitsnachweis führen. Dies wurde exemplarisch durch die PTB mit dem Tool ISpark durchgeführt und dokumentiert. Somit sind keine weiteren Berechnungen durch den Planer erforderlich und der Nachweis der Eigensicherheit beschränkt sich auf die Dokumentation der Teilnehmer und ihrer Verbindungen untereinander.
Im Unterschied zu Ethernet-APL bietet 100BASE-TX-IS keine integrierte Speisung, also kein „Ex i Power over Ex i Ethernet“. Und genauso wie beim zugrundeliegenden 100BASE-TX Standard sind Entfernungen bis maximal 100 m mit CAT-Kabeln erreichbar. Es ist daher davon auszugehen, dass Hersteller entsprechende 100BASE-TX-IS-Switches und -Medienkonverter mit zusätzlichen LWL-Schnittstellen, z.B. in der Zündschutzart „op is“, auf den Markt bringen werden. Damit sind dann auch deutlich größere Entfernungen bis in die Zone 1 überbrückbar, die bei Einsatz von Single Mode Fasern sogar 30 km oder mehr betragen können.
Noch warten oder schon durchstarten?
Natürlich lassen sich Ethernet-APL und 100BASE-TX-IS in Anlagen hervorragend miteinander kombinieren – seitens der Kommunikation sind die Lösungen transparent und unterstützen damit Protokolle wie EtherNet/IP, PROFINET oder HART-IP sowie OPC UA gleichermaßen. Mit 100BASE-TX-IS lassen sich Geräte, die höhere Bandbreiten benötigen wie z.B Remote I/O Systeme, mit neuen, intelligenten Ethernet-APL-Feldgeräten in einem Netzwerk in explosionsgefährdeten Bereichen der Zone 1 und 2 gemeinsam betreiben. Während eigensichere 2-Draht Ethernet-Feldgeräte über Field Switches angeschlossen werden, verbindet z.B. ein eigensicherer 100BASE-TX-IS Backbone diese Field Switches mit anderen Teilnehmern wie z.B. Remote I/O Systemen und dem Leitsystem. Durchgängige IP-Kommunikation von der Warte bis ins Feld, das Ziel der Digitalisierungsbestrebungen in der Prozessautomatisierung ist greifbar nahe gerückt.
Neben den vielleicht noch etwas ferneren Szenarien wie NOA, MTP oder OPA existieren für Ethernet in explosionsgefährdeten Bereichen bereits heute Anwendungen. In der Zone 1 und 2 lassen sich Bedien- und Beobachtungssysteme als Thin Clients an einem Ethernet-Netzwerk über z.B. „op is“-Lichtwellenleitern betreiben. Auch Anwendungen wie Soft-SPS oder SCADA sind damit in explosionsgefährdeten Bereichen möglich, da ein schnelles Ethernet eine sehr komfortable Einbindung in die vorhandene Infrastruktur ermöglicht. Ebenfalls CCTV IP-Kameras zur Überwachung von Anlagen und Prozessen sind in explosionsgeschützter Ausführung für die durchgängige IP-Kommunikation verfügbar.
Viele Feldgeräte lassen sich bereits heute über Ethernet einbinden, auch wenn sie selber noch keine entsprechende Schnittstelle aufweisen. Die meisten Leitsysteme unterstützen diverse Ethernet-Protokolle und mit modernen Remote I/O-Systemen besteht seit längerem die Möglichkeit, Ethernet-Kommunikation über PROFINET, EtherNet/IP oder Modbus TCP in explosionsgefährdeten Bereichen der Zone 1 einzusetzen. Selbst die HART Informationen von Feldgeräten werden hierbei transparent übertragen und lassen sich heute mittels FDT/DTM Technologie oder OPC UA unabhängig vom Prozessbus in Asset Management Systemen verarbeiten. Explosionsschutz und Digitalisierung stehen bereit für die kommenden Aufgaben der Automatisierung.
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